Einführung

Neben der Demokratischen Revolution von 1989/90 ist der Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 eines der wichtigsten Ereignisse in der neueren deutschen Geschichte.
Die Meinungen über dieses Schlüsselereignis gingen im Laufe der Jahre vielfach auseinander. Bis 1989/1990 wurde das Ereignis im Westteil Deutschlands als Feiertag der nationalen Einheit begangen, und dort, wo es stattgefunden hatte, im Ostteil Deutschlands, verzerrte man es als "konterrevolutionären Putsch". Was ist dieser 17. Juni 1953 in der Erinnerung der Brandenburger Bürger? Wie wurde und wird mit diesem Ereignis umgegangen? Wie kann die Erinnerung erhalten werden?
Die Internetseite 17juni-brandenburg.de mit vielen Informationen, Dokumenten, Fotos und Interviews  kann eine Hilfe sein, dieses Thema im Schulunterricht als konkretes historisches Beispiel zu nutzen. Die Schülerinnen und Schüler sollen angeregt werden über den 17. Juni 1953 vor Ort nachzufragen, sich selbst eine Meinung zu bilden, dabei mit den Eltern und Großeltern zu sprechen oder auch weiter zu forschen. Hier liegen noch weitere Bereiche der Stadtgeschichte im Dunkeln.
Bereits zum fünfzigsten Jahrestag im Jahr 2003 erarbeitete das Stadtmuseum Brandenburg an der Havel die Ausstellung „Protest! Der 17. Juni 1953 in der Stadt Brandenburg“. Im Verlaufe der vergangenen 10 Jahre wurde neues Material gesammelt und Zeitzeugen befragt. Für viele ehemalige Brandenburger Jugendliche waren und sind zum Teil bis heute, die Juni-Tage 1953 ein prägendes Ereignis, unabhängig davon auf welcher Seite sie damals gestanden haben. Sie kommen in dieser Präsentation als ein Baustein der Darstellung der Ereignisse zu Wort.  


Die beiden Museen der Stadt Brandburg an der Havel hatten es sich zur Aufgabe gemacht, das aktuelle Thema umfassend in einer multimedialen Anwendung darzustellen. Die erarbeitete Internetseite ist unter der Adresse: http://www.17juni-brandenburg.de zu finden. Im Mittelpunkt steht ein multimedialer Stadtplan, auf dem sich die Besucher über die Brennpunkte des 17. Juni 1953 orientieren und informieren können. Ein Trailer führt virtuell durch die Geschehnisse dieses bedeutenden Tages und vermittelt den historischen Hintergrund. Es ist aber auch möglich, durch die interaktive Tour zu den Schauplätzen zu gelangen. Wer sich für weiterführende historische Informationen und Hintergründe interessiert, klickt sich vom Anfang bis zum Ende durch. Die Zeitzeugengespräche lassen die Geschehnisse interessant und spannend werden. Für viele Brandenburger Bürger endete dieser Tag tragisch und veränderte ihr Leben für immer. Die Prozesse und Urteile gegen die „Provokateure“ können in Was passierte mit …? verfolgt werden. Alle Bürger sind herzlich eingeladen, mit den Autoren dieses Projektes über das Austauschforum in Kontakt zu treten. Die Internetpräsentation soll zu gleich als ein Angebot an die Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte der Schulen gesehen werden. Die erarbeiteten Materialien könnten auch überregional bei der Ausgestaltung des Unterrichts zum Thema „DDR-Geschichte“ genutzt werden. Unter Schule ist eine umfangreiche didaktisch aufbereitete Lehrerhandreichung zu finden.


Die Textinformationen werden durch eine Vielfalt unterschiedlicher Quellen illustriert und ergänzt: Fotos, Original-Töne aus dem RIAS-Archiv, Zeitzeugen-Interviews, Zeitungsausschnitte, Flugblätter sowie Dokumente aus verschiedenen Archiven. Das Ziel ist eine lebendige Präsentation der Vergangenheit.
Das hier angebotene Material und seine Verknüpfungen sind als ein begleitendes „Handbuch“ zum Thema „Der 17. Juni 1953“ gedacht. Der Betrachter findet alles, was für weiterführende Recherchen, die Vertiefung des Themas, Kontakte oder für laufende bzw. künftige Forschungsvorhaben hilfreich und notwendig ist.

Allgemeine Vorbemerkungen
Die Proteste und Demonstrationen, die am 17. Juni 1953 in der gesamten DDR ausbrachen, waren der Höhepunkt einer Entwicklung, die bereits im Sommer 1952 mit der 2. Parteikonferenz der SED begonnen hatte und deren Nachwirkungen noch lange nach dem Aufstand zu spüren waren.
Auf der 2. Parteikonferenz hatte die SED beschlossen, in der DDR den Sozialismus aufzubauen. Die Stadt Brandenburg war von allen Maßnahmen betroffen, die im Zusammenhang mit diesem Beschluss umgesetzt wurden. Die privaten Unternehmer waren einem Steuerkrieg ausgesetzt, es gab Enteignungen und Verhaftungen. Die Einzelbauern wurden unter großem Druck zum Beitritt in die LPG genötigt oder kriminalisiert, der Kirchenkampf nahm erschreckende Ausmaße an, über 70 Schülerinnen und Schüler wurden kurz vor dem Abitur von den Schulen verwiesen, die Lebensmittelversorgung stand kurz vor dem Zusammenbruch.
Es waren hier nicht nur die Normerhöhungen die das Fass zum Überlaufen brachten. Schon am 12. Juni protestierten zwischen 2000 und 4000 Menschen vor dem Kreisgericht gegen die SED-Politik. Anlass war die vermutete und dann ausbleibende Freilassung eines Fuhrunternehmers, der wegen Nichtigkeiten ins Gefängnis geworfen worden war.
Neben Rathenow und Hennigsdorf kam es in der Stadt Brandenburg an der Havel zu den größten Demonstrationen. Alle größeren Betriebe waren von Arbeitsniederlegungen betroffen. Die Kreisleitung der SED wurde gestürmt, die Büros der Blockparteien und des FDGB ebenfalls. Den Höhepunkt der Proteste bildete die Befreiung von über vierzig politischen Häftlingen aus der Untersuchungshaftanstalt des Kreisgerichts im Zentrum der Stadt. Die Besetzung des Volkspolizeikreisamtes wurde nur durch das Eingreifen der sowjetischen Armee verhindert. Ca. 15.000 Menschen beteiligten sich an den Protesten in der Stadt. Über die Vorgeschichte, den genauen Verlauf und die Folgen können Sie sich auf der Internetseite informieren, die in einer Kooperation zwischen dem Historischem Verein Brandenburg (an der Havel) e. V., dem Stadtmuseum Brandenburg an der Havel  und dem Industriemuseum Brandenburg an der Havel gestaltet wurde und dank der Förderung der Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung realisiert werden konnte.


Curriculare Bezüge
Schülerinnen und Schüler wissen zu wenig über die jüngste Zeitgeschichte, dies ist eine Aussage der meisten empirischen Studien. Dem gegenüber steht das große Interesse an der Geschichte des ge-teilten Deutschland, auch am Volksaufstand.
Schauen wir uns die Lehrpläne der Schulen an. In Brandenburg sowie in Berlin ist der 17. Juni als Unterrichtsgegenstand nicht explizit in den Rahmenlehrplänen ausgewiesen. Dort werden grobe Themen vorgegeben, nicht aber konkrete bzw. Ereignisse. Der Ort des Volksaufstandes liegt hier bei den Oberthemen „Konfrontation der Blöcke und die deutsche Frage“, „ Freiheit und Einheit“ oder „Deutsche Nachkriegsgeschichte“. Das Ereignis findet ausschließlich im Geschichtsunterricht statt. Dabei existieren viele Möglichkeiten, eines der wichtigsten Ereignisse der deutschen Nachkriegszeit auch in Politik, Sozialkunde, Deutsch, Religion und Ethik zum Thema zu machen. Dies würde helfen, den Blick auf die Ereignisse des 17. Juni zu erweitern, um die Vielschichtigkeit und die Auswirkungen des Volksaufstandes auf die verschiedenen gesellschaftlichen Felder deutlich zu machen.

Die Aufgaben zur Vertiefung bieten sich für Schüler der Gymnasien an. Bei der Erarbeitung der Themen kommen unterschiedliche Internetseiten (als Grundlage dient diese Webpräsenz) und Fachportale zum Einsatz.

Voraussetzungen
Wissen über die historische Entwicklung der DDR. Die Jahre 1949 bis 1961 stehen im Fokus der Be-trachtungen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als zentrale Säule der SED-Herrschaft und das wichtigste Repressionsinstrument der SED gegen die eigene Bevölkerung sollte im Unterricht behandelt worden sein. Um die Rolle der sowjetischen Streitkräfte im Verlauf des 17. Juni 1953 beurteilen zu können, muss es den Schülerinnen und Schülern möglich sein, das Verhältnis zwischen der DDR und der Sowjetunion einordnen zu können.  


Aus dem historischen Kontext argumentieren
Bei der Beurteilung der historischen Situation ist darauf zu achten dass die Schülerinnen und Schüler nicht vorschnell aus heutiger Sicht urteilen. Vielmehr geht es darum, die Motive der Beteiligten zu verstehen und herauszuarbeiten. Die Lernenden sollen beispielsweise erarbeiten, dass die Regierung der DDR ohne die Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht den Streik nicht hätte unterdrücken können. Dabei sind die ideologischen Grundlagen und das Verhältnis zur Sowjetunion in dieser Zeit und in den nächsten Jahren in anderen Blockstaaten einzubeziehen. Eine Beurteilung soll in allererster Linie aufgrund des historischen Kontextes erfolgen.

Multiperspektivität
Durch die Nutzung von Auszügen aus Akten des Ministeriums für Staatssicherheit, Betriebszeitungen und andere Archivmaterialien, in denen die Ereignisse vom 17. Juni 1953 dokumentiert werden, kann die Forderungen nach Multiperspektivität und Perspektivwechsel im Geschichtsunterricht umgesetzt werden.


Kompetenzen

Fachkompetenzen
Die Schülerinnen und Schüler
- kennen Gründe für den Volksaufstand im Juni 1953 und können einen Zusammenhang zu den politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Rahmenbedingungen in der DDR herstellen.
- können einzelne Beispiele für Brennpunkte sowie den Verlauf des Streiks skizzieren und die Bedeutung des Eingreifens der sowjetischen Besatzungsmacht in die Entwicklung am 17. Juni 1953 einordnen.
- können das Verhalten der DDR-Bürger nach dem 17. Juni 1953 erläutern und Alternativmög-lichkeiten überprüfen.
- erläutern die Möglichkeiten der Rechtsprechung bei der Verurteilung von Teilnehmern des Streiks, beurteilen die Entscheidungen über Urteile als willkürlich und erkennen dies als Ab-schreckungsversuch durch die Regierung der DDR und durch das MfS.
- erkennen und bewerten, dass Streikteilnehmer aus politischen Gründen inhaftiert und kriminalisiert wurden.
- können die Risiken und Gefahren einer Teilnahme am Streik in der DDR einschätzen.


Medienkompetenzen
Die Schülerinnen und Schüler
- können im Internet Informationen recherchieren.
- lernen, die Einzel- und Teamarbeit selbstständig zu organisieren.
- präsentieren Rechercheergebnisse anspruchsvoll und angemessen.
- erkennen, dass es sich bei Zeitzeugenberichten um perspektivische Quellen handelt.
- können den Aussagewert von Zeitzeugenberichten bestimmen.